Progressiv und gemeinnützig
Soziale Errungenschaften aus der Unternehmensgeschichte
Mit der Industrialisierung und dem darauf gründenden Bevölkerungsanstieg in den Städten wachsen auch die Anforderungen für die soziale Verantwortung für Unternehmer. Arbeiter leben bis weit über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus unter oftmals katastrophalen Bedingungen und sehen sich tagtäglich existentiellen Problemen ausgesetzt, die sowohl auf niedrige Löhne als auch die sich zuspitzende Wohnsituation zurückzuführen sind. Auch das Gruson- bzw. Krupp-Grusonwerk kann sich in diesen Zeiten den sozialen Fragen nicht entziehen und reagiert mit vielerlei Maßnahmen auf die Bedürfnisse seiner Betriebsangehörigen.
Höhere Löhne und betriebliche Hilfsleistungen
Hermann Gruson sieht sich zum ersten Mal im Jahr 1859 mit den Konsequenzen der Lebensbedingungen seiner Arbeiter konfrontiert, als sich in der noch vier Jahre jungen Eisengießerei- und Maschinenfabrik, die noch keine 250 Mitarbeiter zählt, ein Streik ereignet. Gruson reagiert prompt und sorgt unmittelbar für höhere Löhne. Die bessere Bezahlung der Mitarbeiter führt schließlich dazu, dass der vorangegangene Streik der einzige unter Grusons Leitung bleibt.
Im Alter von 70 Jahren scheidet Gruson am 1. Juli 1891 aus dem Werksvorstand aus und wechselt daraufhin in den Aufsichtsrat, wo er aktiv bleibt bis Krupp am 1. Mai 1893 das Unternehmen übernimmt. Bevor dies jedoch geschieht, gründet er für das mittlerweile mehr als 3000 Mitarbeiter umfassende Unternehmen eine Arbeiter-Prämien-Stiftung mit einem Startkapital von 100.000 Mark. Von den ausgeschütteten Zinsen des Kapitals erhält jeder der zehn ältesten Mitarbeiter eine jährliche Weihnachtsabgabe von 400 Mark. Weitere 100.000 Mark stiftet Gruson jeweils für den Verein für Kranken- und Armenpflege in Buckau, den Pensions-Verein der Beamten und Meister des Grusonwerks sowie die Arbeiterhilfskasse des Grusonwerks. Letztere wurde dazu eingerichtet, um arbeitsunfähigen Werksangehörigen laufende Unterstützungen gewähren zu können.
Auch nach Grusons Ausscheiden werden derlei betriebliche Leistungen weiterhin gefördert. So erhält beispielsweise die Beamtenpensionskasse 1899 eine Zuwendung in Höhe von 150.000 Mark seitens Friedrich Alfred Krupp. Überdies entsteht 1907 ein Erholungsheim für Werksangehörige in Hasserode am Harz: der Margarethenhof. Er kann dank der Stiftung von Margarethe Krupp erbaut werden und bietet Platz für bis zu 37 Personen. Arbeitnehmer des Krupp-Grusonwerks können hier zusammen mit ihren Familien einen zwei- bis vierwöchigen Aufenthalt bei kostenloser Unterkunft und Verpflegung verbringen. Kostenlos zur Verfügung gestellt wird den Mitarbeitern im Verleih außerdem der Bestand der Werksbibliothek, die im selben Jahr 7100 Bände allgemeiner Literatur und 7000 Fachbücher umfasst.
Abb. 1: Der Margarethenhof in Hasserode am Harz
Konsum- und Speiseanstalten
Um 1900 investieren große Industrieunternehmen vermehrt in betriebliche Einrichtungen. Das Grusonwerk gehört in dieser Hinsicht zu den Vorreitern, da es bereits 1890 zur Gründung einer Konsumanstalt kommt, die zunächst im Keller des neuen Verwaltungsgebäudes untergebracht wird. Hier können Kolonialwaren (Lebens- und Genussmittel aus Übersee) und Haushaltsartikel von Mitarbeitern zu besonders günstigen Preisen erworben werden. Darüber hinaus plant man im gleichen Jahr eine Arbeiterküche mit einem Speisesaal für 800 Personen, die schließlich im Folgejahr errichtet wird.
Im Jahr 1899 errichtet das Baugeschäft Meißner und Liborius an der Ecke Freie Straße und Marienstraße ein neues Gebäude für die Konsumanstalt. Hinter einer Fassade aus roten und gelben Ziegeln werden im zweigeschossigen Backsteinbau, der elf Jahre später durch einen Anbau an der Marienstraße erweitert wird, Textilwaren, Nähzubehör, Kolonialwaren und sonstige Haushaltsgegenstände angeboten. Verkauft werden die Waren ausschließlich an Mitarbeiter des Krupp-Grusonwerks, die dafür Rabattmarken erhalten.
Abb. 2: Die Konsumanstalt an der Marienstraße
Ebenfalls 1899 wird an der Marienstraße eine von Friedrich Hanke geplante Arbeiter-Speiseanstalt gebaut. Sie beherbergt eine 340 Quadratmeter großen Speisesaal für bis zu 500 Personen. Vom Werk erhalten Mitarbeiter des Krupp-Grusonwerks Essensmarken: 30 Pfennig kostet eine Marke für eine warme Mahlzeit mit Fleischbeilage, 20 Pfennig für eine vegetarische Mahlzeit. Unter dem Speisesaal befindet sich ein weiterer Speisesaal für mitgebrachte Mahlzeiten, darüber ein Kasino für die Beamten des Werks.
Ab 1902 versorgt die betriebseigene Arbeiterküche schließlich drei Speisesäle, die gemeinsam 1000 der zu jener Zeit 2773 Beschäftigten Platz bieten. Fünf Jahre später – nachdem die Anzahl der Werksangehörigen um etwa 2000 Beschäftigte gestiegen ist – entsteht in Sudenburg eine Zweigstelle der Konsumanstalt für den Verkauf von Kolonialwaren. Sie wird errichtet, um dort wohnenden Mitarbeitern den weiteren Weg zur Konsumanstalt an der Marienstraße zu ersparen.
Die Gruson-Gewächshäuser
Das durch Hermann Gruson begründete soziale Engagement überlebt den Firmengründer bis heute im Magdeburger Stadtbild, und zwar in Form der Gruson-Gewächshäuser. Sie sind das erste Beispiel für die städtebaulichen Auswirkungen des Maschinenbauunternehmens außerhalb des Werksgeländes und zugleich die kommunale Hinterlassenschaft des Firmengründers zum Zweck der Erholung und Bildung. Bereits seit den 1860er Jahren befasst sich Gruson mit exotischen Pflanzen. Sein Interesse gilt dabei vor allem Kakteen und Sukkulenten, von denen er bis in die 1890er Jahre hinein eine beachtliche Sammlung anlegt, die weltweites Ansehen genießt. So verwundert es nicht, dass der sogenannte Schwiegermutterstuhl ihm zu Ehren „Echinocactus grusonii“ getauft wurde.
Nach Grusons Tod im Jahr 1895 schenkt die Familie die etwa 420 Sukkulenten- und mehr als 900 Kakteenarten umfassende Pflanzensammlung, die bis dato in drei Gewächshäusern auf Grusons Privatgrundstück an der Freien Straße untergebracht war, der Stadt Magdeburg. In seinem Testament formuliert Gruson fünf Bedingungen für die Übernahme der Sammlung: Ausschließlich die Stadt solle die Unterhaltung der Pflanzen übernehmen, die ferner in Grusons Sinne durchzuführen sei. Darüber hinaus müsse die Pflanzensammlung „für alle Zeiten“ den Namen Grusons tragen und jedem zugänglich sein, einschließlich eintrittsfreier Tage. Schließlich seien seitens der Stadt sämtliche von Gruson eingestellte Gärtner und Lehrlinge zu übernehmen. Grusons Sohn und dessen Witwe spenden der Stadt überdies einen Betrag von 100.000 Mark zur Errichtung neuer Gewächshäuser.
Abb. 3: Die Gruson-Gewächshäuser
Am 12. April 1896 wird die botanische Anlage unter dem Namen „Gruson Gewächs- und Palmenhäuser der Stadt Magdeburg“ eröffnet. Sie findet ihren Platz im Friedrich-Wilhelm-Garten (heute Klosterbergegarten), nordwestlich des Gesellschaftshauses. Die im Laufe der Zeit mehrfach modifizierte und renovierte Anlage besteht zu Beginn aus einem Eingangsgebäude, dem Kalthaus, dem Palmenhaus, dem Farnhaus, dem Sukkulentenhaus (heute Mittelmeerhaus), dem Kakteenhaus (heute Botanikschule und Königin-der-Nacht-Haus), dem Orchideenhaus und dem Cycadeenhaus (heute Kakteenhaus) sowie einem Wirtschaftsgebäude und Anzuchtgewächshäusern. Im heutigen Unterrichtshaus des ehemaligen Kakteenhauses finden sich außerdem Spuren der Eisengießerei- und Maschinenfabrik, da dort Bauteile verwendet wurden, die in dem von Gruson entwickelten Hartgussverfahren erstellt wurden. Die Gruson-Gewächshäuser sind nicht nur aufgrund der vielfältigen Pflanzensammlung bedeutend. Im Jahr 1975 wird in ihnen auch eine der ersten deutschen Botanikschulen eröffnet, in dem vor allem Schulklassen bis heute an das Thema herangeführt werden.
Seit der Fertigstellung des neuen Eingangsgebäudes im Jahr 2010 ist der ursprüngliche Umfang der während des Zeiten Weltkriegs schwer beschädigten Gewächshäuser wiederhergestellt. In den Jahren 2020 und 2021 soll überdies der zweite Bauabschnitt der Sanierung abgeschlossen werden, der das Kakteenhaus, den Wintergarten und das Farnhaus betrifft. Welche weiteren Spuren Gruson und die Unternehmensgeschichte der von ihm gegründeten Eisengießerei- und Maschinenfabrik im Stadtbild Magdeburgs hinterließen, erfahren Sie in den folgenden Beiträgen.
Förderverein der Gruson-Gewächshäuser e.V.: „123 Jahre Gruson-Gewächshäuser“, http://www.gruson-gewaechshaeuser.de/geschichte/ (05.03.2020).
Ders.: „Geschichte der Gruson-Gewächshäuser Magdeburg“, http://www.gruson-gewaechshaeuser.de/geschichte/baugeschichte/ (05.03.2020).
Christoph Kretschmann: Vom Grusonwerk zum SKET – 150 Jahre Industriegeschichte, Magdeburg: Delta-D, 2.Aufl., 2007.
Tom Kühne (Buch und Regie): Wo der Stahl gehärtet wurde – Die Maschinenbaustadt Magdeburg, Dokumentation, 45 Min., Produktion: MDR, Ariane-Film GmbH, Reihe: Der Osten – Entdecke wo du lebst, Erstsendung: 14. Januar 2020.
Mathias Tullner: „Industriestadt und Großstadtentwicklung. Magdeburg im Kaiserreich (1871-1914)“, in: Reformstadt der Moderne. Magdeburg in den Zwanzigern, Buch zur gleichnamigen Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Magdeburg, 8. März bis 16. Juni 2019, hrsg. v. Gabriele Köster und Michael Stöneberg, Magdeburg: Kulturhistorischen Museum Magdeburg, 2019, S. 18-45.
Abbildungen
Abb. 1: Archiv Kretschmann
Abb. 2: Archiv Verein der Thälmannwerker
Abb. 3: Archiv Kretschmann