Spuren im Stadtbild – Teil 3
Städtebauliche Auswirkungen einer Unternehmensgeschichte
Im zweiten Teil dieses Beitrags warfen wir einen Blick auf den seit den 1930er Jahren entstehenden Siedlungsbau des Krupp-Grusonwerks. Im dritten und letzten Teil schildern wir, was mit der Krupp-Gruson-Siedlung nach dem Zweiten Weltkrieg geschah und wie schließlich SKET das Stadtbild Magdeburgs im weiteren Verlauf des turbulenten 20. Jahrhunderts direkt und mittelbar prägte.
Die Krupp-Gruson-Siedlung in der DDR und nach der Wende
Während des Zweiten Weltkriegs werden zahlreiche Bauten der Krupp-Gruson-Siedlung schwer beschädigt sowie 14 Häuser vollständig zerstört. Der Siedlungsverein nimmt jedoch unmittelbar nach Kriegsende seine Arbeit wieder auf und sorgt in Absprache mit den entsprechenden Verwaltungsorganen für den Wiederaufbau der betroffenen Gebäude. Sie werden zu Beginn unter anderem mithilfe von Steinen instandgesetzt, die die Bewohner per Handwagen aus den Trümmern in der Hegelstraße herbeischaffen. Die Lücken, die durch die Kriegsschäden entstanden, werden noch bis in die 1960er Jahre hinein bebaut, als die Krupp-Gruson-Siedlung bereits den Namen Karl-Marx-Siedlung trägt.
Nach der kriegsbedingten Zäsur und der Teilung Deutschlands knüpft man im Laufe der 1950er Jahre erneut an die genossenschaftlich organisierte Wohnungsversorgung an. So wird 1954 die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft (AWG) „Ernst Thälmann“ mit dem Ziel gegründet, den Wohnungsbau zwecks Verbesserung der Versorgung der Werktätigen zu erweitern. Infolgedessen errichtet man an der Schilfbreite im Stadtteil Hopfengarten einen dreigeschossigen Wohnblock, dessen erste 18 Wohnungen am 1. Juli 1955 bezugsfertig sind. Zwei Jahre später werden die Magdeburger Wohnungsbaugenossenschaften (GWG) umstrukturiert. Im Zuge dessen werden der vormalige Spar- und Bauverein in GWG Frieden und der Bauverein der Grusonwerk-Beamten in GWG Süd umgetauft.
Abb. 1 & 2: Vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) herausgegebene AWG-Broschüren aus dem Jahr 1958.
Am 1. Januar 1969 wird auch das ehemalige Krupp-Grusonwerk zum bereits vierten Mal seit Kriegsende umbenannt und der VEB Schwermaschinenbau-Kombinat Ernst Thälmann Magdeburg (SKET) zum Rechtsnachfolger des VEB Schwermaschinenbau „Ernst Thälmann“, Magdeburg-Buckau. Ab demselben Jahr entstehen in der Hopfenbreite sowie in der Sternstraße im heutigen Stadtteil Altstadt insgesamt drei Wohnheime für Auszubildende des Betriebs, die dort außerdem mit Frühstück und Abendessen versorgt werden. Daneben unterstützen das SKET sowie der Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter (VKSK) den Vereinsvorstand der Karl-Marx-Siedlung 1972 bei der Finanzierung einer Konsumbaracke. Sie wächst als Klubhaus und Gaststätte „Fast wie zu Hause“ zum kulturellen Zentrum der Siedlung heran, in dem unter anderem die Vorstandssitzungen des Siedlungsvereins stattfinden. Am 1. Mai desselben Jahrs erfolgt darüber hinaus die Grundsteinlegung für 20 Eigenheime am Hopfengarten, die dort im Bungalow-Stil errichtet werden. Damit wird die ehemalige Krupp-Gruson-Siedlung zum ersten Mal seit 35 Jahren erweitert.
Abb. 3: Wohnblock an der Schilfbreite im Stadtteil Hopfengarten.
Bereits vor der Wiedervereinigung Deutschlands ermöglicht das sogenannte Modrow-Gesetz vom 7. März 1990 Siedlern den Erwerb von ehemals volkseigenem Grund und Boden. Ende 1990 wird überdies die Dachorganisation der Siedlung, der VKSK, aufgelöst. Zur gleichen Zeit bietet der Deutsche Siedlerbund (DSB) dem Siedlungsverein Schulungsveranstaltungen, Diskussionsrunden und Beratungen auf Bundesebene an. Daneben übernimmt der Landesverband Niedersachsen die Patenschaft für die Magdeburger Siedlungen. Im Juli 1991 tritt die Karl-Marx-Siedlung schließlich dem DSB-Landesverband Sachsen-Anhalt bei. Die Mitgliedschaft beim heutigen Verband Wohneigentum endet 2010. Am Ende desselben Jahrs beschließt man in einer Mitgliederversammlung den neuen Vereinsnamen: Hopfengartenverein KMS 1932 e.V. Dank seines Einsatzes für einen stark ausgeprägten Gemeinschaftssinn und der Beibehaltung von Traditionen wie den seit den 1930er Jahren stattfindenden Siedlungsfesten, bleibt der Verein trotz aller Umbenennungen sowie politischer und wirtschaftlicher Umbrüche bis heute die Konstante einer Siedlungsgeschichte, die durch drei deutsche Staaten führt.
Poliklinik
Auf Erlass der Sowjetischen Militäradministration für Deutschland (SMAD) wird am 1. März 1948 eine Poliklinik für das ehemalige Krupp-Grusonwerk eröffnet, das bis zwei Jahre nach Gründung der DDR den Namen Maschinenfabrik Krupp-Gruson der Sowjetischen Maschinenbau AG (SAG) trägt. Der zugrundeliegende Befehl 234 sieht vor, dass zur Erhaltung der Arbeitskraft der Werktätigen in allen Betrieben mit mehr als 5.000 Beschäftigten innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren Polikliniken für die Belegschaftsmitglieder eingerichtet werden. Untergebracht wird die Poliklinik in Hermann Grusons ehemaliger Villa auf dem Werksgelände an der Freien Straße. Sie umfasst Räume für das medizinische Personal, medizinische Bäder, Massagen und Bestrahlungen sowie Patientenzimmer, in denen im Werk beschäftigte Umsiedler und Heimkehrer gepflegt werden. Zudem handelt es sich bei ihr um eine der ersten Polikliniken in der sowjetischen Besatzungszone. Erweitert und ausgebaut wird die Einrichtung jeweils in den Jahren 1949 und 1953.
Abb. 4: Die Poliklinik der Krupp-Gruson SAG.
Das AMO Kultur- und Kongresshaus
Im Jahr 1949 beginnt im Auftrag der Sowjetischen Militäradministration die Planung eines Kulturhauses für Mitarbeiter, die in den zur Aktiengesellschaft für Maschinenbau (AMO) gehörenden Werken beschäftigt sind. Hierzu zählen die Industriebetriebe Krupp-Gruson, Buckau-Wolf, Otto Gruson, Maschinenbau Mackensen sowie Gerätebau Schönebeck. Errichtet wird das im Stil des Neoklassizismus gestaltete Gebäude, das heute als beispielhaft für die Architektur des Übergangs zwischen der sowjetischen Militärverwaltung und der Gründung der DDR gilt, unter der Leitung der Architekten Gustav Pohl und Hermann Gspann unweit der Gruson-Gewächshäuser, die 1950 gegen den Willen ihres Stifters in „Städtische Gewächshäuser“ umbenannt werden. Am 1. Mai 1951 ist der heute im örtlichen Denkmalverzeichnis eingetragene Bau an der Erich-Weinert-Straße 27 weitestgehend fertiggestellt. Die Eröffnung des Neubaus, der den Namen „Ernst Thälmann“ trägt, findet schließlich am 7. November desselben Jahrs anlässlich des 34. Jahrestags der Oktoberrevolution statt. Infolgedessen wird das Kulturhaus zum Domizil für Jugendchöre, Schach- und Billardspieler, Volkskunstgruppen, Ensembles der Schwermaschinenbauer, einem Zirkel für angewandte Kunst, Malerei und Grafik, einem Handarbeitszirkel, einem Akkordeonorchester, einem Foto-, Mode- und Tanzzirkel sowie dem Kinderkabarett „Kritiküsschen“. In dem sich zum meistbesuchten Kulturzentrum Magdeburgs entwickelnden Haus finden Jugendweihen, Weihnachtsfeiern, Frauentagsfeiern und vor allem offizielle Parteiveranstaltungen der SED statt.
Abb. 5 & 6: Das AMO Kultur- und Kongresshaus kurz vor (links) und kurz nach der Fertigstellung (rechts).
Nach der Wende wird das Kulturhaus für kurze Zeit unmittelbar dem SKET angegliedert. Anfängliche Privatisierungspläne der Treuhandanstalt stoßen 1991 auf breite Kritik. Im Nachgang entschließen sich das Land Sachsen-Anhalt zusammen mit dem DGB-Landesvorsitz sowie dem Magdeburger Stadtrat dazu, das Haus als öffentliche Kultureinrichtung zu erhalten, worauf es in das Eigentum der Stadt Magdeburg übergeht. Betrieben durch die Messe- und Veranstaltungsgesellschaft Magdeburg GmbH (MVGM) bleibt das Kulturhaus bis heute ein zentraler Veranstaltungsort für Konzerte und Veranstaltungen aller Art.
Weitere Einrichtungen, die in Beziehung zum SKET stehen
Neben den bisher genannten Siedlungsprojekten und Institutionen für die Mitarbeiter des ehemaligen Krupp-Grusonwerks prägen bis in die 1980er Jahre hinein noch weitere Einrichtungen das Stadtbild Magdeburgs, die unmittelbar zum SKET gehören. Hierzu zählen das Archiv in der Ankerstraße, die technische Bibliothek in der Karl-Schmidt-Straße, ein Ausländerwohnheim in der Harnackstraße, ein weiteres Wohnheim in der Jean-Burger-Straße, die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft „Ernst Thälmann“, die Betriebskinderkrippen „Rosa Thälmann“ in der Hopfenbreite, die Betriebskindergärten „Walter Ulbricht“ in der Humboldtstraße 14, ein Kinderhort in der Fritz-Herbst-Straße (heute Grusonstraße), ein Betriebskinderheim in Wendefurth, Sportheime in der Salzmannstraße (Sudenburg) sowie in der Bodestraße (Lemsdorf) und schließlich die Sparkassenzweigstelle SKET.
Nicht zuletzt hat auch das auf Hermann Gruson und dessen Hartgussverfahren zurückgehende Renommee des Magdeburger Maschinenbaus mittelbare Auswirkungen auf die hiesige Hochschulinfrastruktur. Aufgrund seines Status als Festungs- und Militärstadt hat Magdeburg lange Zeit mit einem Mangel an Universitäten und Hochschulen zu kämpfen. Erst 1891 – dem Jahr, in dem Gruson aus dem Werksvorstand austritt – entsteht eine Maschinenbauschule, durch die schließlich die Ingenieurausbildung in Magdeburg begründet wird. Sie wird 1904 zur „Königlichen Maschinenbauschule“ ernannt und gilt als Vorläufer der Technischen Universität Magdeburg (von 1953 bis 1961: Hochschule für Schwermaschinenbau Magdeburg; von 1961 bis 1987: Technische Hochschule Magdeburg) sowie der 1993 gegründeten Otto-von-Guericke-Universität. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kommt es vermehrt zu Kollaborationen zwischen dem SKET und der ansässigen Hochschule. So werden in den 1960er Jahren im Auftrag des Konstruktionsbüros Magdeburg zusammen mit der Technischen Hochschule die Grundlagen für das Walzen von Stahldraht mit Geschwindigkeiten bis zu 60 m/s erarbeitet. Auch in der folgenden Dekade kommt es zum regen Austausch zwischen dem SKET und der Technischen Universität. Der Forschungsschwerpunkt für die Entwicklung neuer Produkte manifestiert sich schließlich am 1. Januar 1987 durch die Eingliederung des VEB Forschung, Entwicklung und Rationalisierung des Schwermaschinen- und Anlagenbaus Magdeburg (FER) in das SKET.
Blick zurück nach vorn: Das Technikmuseum
Neben der Otto-von-Guericke-Universität und dem SKET Ausbildungszentrum liefert heute vor allem das Technikmuseum einen Einblick in die Geschichte des Magdeburger Maschinenbaus für zukünftige Generationen. Untergebracht in der ehemaligen Panzergießerei von Hermann Gruson können dort historische Maschinen und Modelle von Anlagen besichtigt werden. Ferner gehören neben von ehemaligen SKET-Mitarbeitern geleiteten Führungen für Schulklassen auch Werkstattkurse zum Angebot.
Abb. 7: Das Magdeburger Technikmuseum in Grusons ehemaliger Panzergießerei.
Der Beschluss, das Museum in der 1871 errichteten Halle unterzubringen, fällt 1994. Die ehemalige Panzergießerei ist auch Veranstaltungsort des in der SKET Schwermaschinenbau Magdeburg GmbH ausgetragenen Bundeswettbewerbs „Jugend forscht“, der im selben Jahr zum ersten Mal in einem ostdeutschen Bundesland stattfindet. Eröffnet wird das Technikmuseum mit einem Schaudepot im Mai 1995. Durch das Engagement des Kuratoriums Industriekultur in der Region Magdeburg e.V. wird 2006 eine zwischenzeitlich drohende Schließung verhindert. In der Folgezeit steigen die Besucherzahlen unter der überwiegend ehrenamtlichen Leitung des Vereins bis auf 20.000 pro Jahr. Aus Altergründen überträgt das Kuratorium die Einrichtung am 1. Juni 2019 in städtische Hände und ist seitdem als Förderverein für das Technikmuseum tätig, das in den kommenden Jahren umfassend modernisiert werden soll.
Brücken zur Zukunft werden nicht nur durch zahlreiche Führungen und Sonderausstellungen geschlagen, sondern auch mithilfe digitaler Technologien. So entwarf das im Magdeburger Wissenschaftshafen untergebrachte Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und Automatisierung in den vergangenen Jahren 3D-Modelle, mit deren Hilfe die historischen Anlagen und Maschinen für die Nachwelt erhalten werden können. Projiziert und begehbar gemacht werden die interaktiven Modelle im Elbedome, dem derzeit größten 3D-Mixed-Reality-Labor für industrielle Anwendungen in Europa: Zwerge auf den Schultern von Riesen, treffen hier doch die Zukunftstechnologien von heute auf die Zukunftstechnologien aus Magdeburgs Maschinenbaugeschichte.
Quellen
Helmut Asmus: 1200 Jahre Magdeburg von der Kaiserpfalz zur Landeshauptstadt, Bd. 4, Die Jahre 1945 bis 2005, Magdeburg: Eigenverl. d. Autors, 2009.
Gerhard Heimpold: „Im Fokus: Industrielle Kerne in Ostdeutschland und wie es dort heute aussieht – Das Beispiel SKET Magdeburg“, in: Wirtschaft im Wandel, hrsg. v. Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle, Halle (Saale): Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, Ausgabe 6/2016, 22. Jahrgang, S. 129-132.
Hopfengartenverein KMS 1932 e.V.: Siedlungsgeschichte, https://www.hopfengartenverein.de/wir-%C3%BCber-uns-artikel/siedlungsgeschichte.html (11.03.2020).
Christoph Kretschmann: Vom Grusonwerk zum SKET – 150 Jahre Industriegeschichte, Magdeburg: Delta-D, 2.Aufl., 2007.
Tom Kühne (Buch und Regie): Wo der Stahl gehärtet wurde – Die Maschinenbaustadt Magdeburg, Dokumentation, 45 Min., Produktion: MDR, Ariane-Film GmbH, Reihe: Der Osten – Entdecke wo du lebst, Erstsendung: 14. Januar 2020.
Landeshauptstadt Magdeburg (Hrsg.): Soziale Bauherren und architektonische Vielfalt: Magdeburger Wohnungsbaugenossenschaften im Wandel, Broschüre des Stadtplanungsamts Magdeburg, Magdeburg: 1996, Heft 45.
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Landeshauptstadt Magdeburg (Hrsg.): Soziale Bauherren und architektonische Vielfalt: Magdeburger Wohnungsbaugenossenschaften im Wandel, Broschüre des Stadtplanungsamts Magdeburg, Magdeburg: 1996, Heft 45, S. 144.
Abb. 2: Ebd., S. 145.
Abb. 3: Christoph Kretschmann: Vom Grusonwerk zum SKET – 150 Jahre Industriegeschichte, Magdeburg: Delta-D, 2.Aufl., 2007, S. 113.
Abb. 4: Christoph Kretschmann: Vom Grusonwerk zum SKET – 150 Jahre Industriegeschichte, Magdeburg: Delta-D, 2.Aufl., 2007, S. 103.
Abb. 5: Bundesarchiv, Bild 183-10372-0002, Biscan, CC-BY-SA 3.0.
Abb. 6: Bundesarchiv, Bild 183-10757-0001, Biscan, CC-BY-SA 3.0.
Abb. 7: Olaf Meister, CC BY-SA 4.0, Link